Der Weg zur Angebotsprognose

Für Herrenberg selbst kalkuliert EMPIRICA an Hand der Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg einen Eigenbedarf für 500 Personen. Im normativen Szenario stellt EMPIRICA bzw. der Verband Region Stuttgart (VRS) die These auf, dass jeder der in Herrenberg wohnende und bis 2040 in Ruhestand gehende Erwerbstätige wieder 1:1 durch einen zugezogenen Erwerbstätigen ersetzt werden wird. Dafür müssen 2.900 Personen nach Herrenberg zuziehen. Für die daraus hochgerechneten 3.400 Personen ergäbe sich einen Bedarf von 42,5 ha in der Stadt Herrenberg. Hier wird mit dem im Regionalplan angesetzten 80 EW/ha gerechnet. In der Praxis geben die Bebauungspläne im Stadtgebiet deutlich größere Dichtewerte vor. Das Flächenpotential einschließlich Wohnungsschwerpunkt (WSP) Herrenberg-Süd beträgt 5.600 Personen. Hierin sind 1.700 Personen für den WSP Herrenberg-Süd einkalkuliert. Anmerkung: Tatsächlich sollen nach den Plänen der Stadtverwaltung in Herrnberg-Süd an die 3.000 Personen ein zu Hause finden.
In der Flächenbilanz liegt für Herrenberg mit dem WSP Herrenberg-Süd ein Überangebot für 2.200 Personen vor. Ohne den WSP Herrenberg-Süd beträgt der Flächenüberschuss immer noch 500 Personen

  • Wohnbauflächenpotential ohne WSP Herrenberg: 3.900 Personen
  • Bedarf an Wohnraum in Personen Herrenberg: 3.400 Personen

Auch auf die Raumschaft „Mittelbereich Herrenberg“ bezogen ist mit umgerechnet auf die Einheit Personen ein Flächenbilanzüberschuss von 400 Personen vorhanden.
Erst mit der Ausweitung des Betrachtungsraumes auf den Landkreis Böblingen und die Region Stuttgart fällt die Flächenbilanz umgerechnet auf Personen mit -15.100 Personen für den Landkreis Böblingen und – 198.200 Personen für die Region Stuttgart negativ aus.

Auf Seite 37 des STEG-Gutachtens heißt es mit Einschränkung richtig: Für die Stadt Herrenberg und den Mittelbereich ergeben sich dabei zunächst aus rechnerischer Sicht des VRS ausreichend Flächenpotentiale zur Bedarfsdeckung.“ In der Zusammenfassung des STEG-Gutachtens (2.1.6 Seite 40) wird aus dem Flächenpotential einschließlich WSP Herrenberg-Süd von 5.600 Personen auf Grund des Siedlungsdruckes auf Landkreis- bzw. Regionalebene ein BEDARF an Wohnstätten für mindestens 5.600 Personen zuzüglich des nicht quantifizierbaren anteiligen Bedarfs aus dem Landkreis (15.100 EW) und der Region (198.200EW).

Das ist ein unzulässiger irreführender „Kniff“ bei der Ableitung des vermeintlich „erhöhten Bedarfs“ in Herrenberg: Aus einem Bedarf für Herrenberg von 3.400 Personen nach dem EMPIRICA-Gutachten kreiert die STEG einen „Bedarf“ von 5.600 Personen. Sie bezieht sich dabei auf das Gutachten von EMPIRICA, das diese Aussage so nicht trifft. Vielmehr heißt es dort (Seite 24): „Die drei Untersuchungsebenen … unterstreichen  den erhöhten Bedarf nach Wohnraum in der Region Stuttgart und die Notwendigkeit der SEM Herrenberg zur Reduzierung der Lücke aus Wohnbauflächenbedarf und flä- chenpotenzialen.“

Zur Klarstellung: es besteht ein erhöhter Bedarf in der Region Stuttgart. In Herrenberg selbst besteht für den Eigenbedarf und für den Flächenbedarf für die utopische Annahme, dass 2.900 zuziehende Bürger bis 2040 die Arbeitsplätze der in Ruhestand gehenden Herrenberger Bürger 1:1 übernehmen werden, kein erhöhter Bedarf.

Der von der STEG angewandte Kniff macht aus der Frage nach dem zukünftigen Wohnungsneubaubedarfs eine „Angebotsprognose“. Eine Angebotsprognose ist allerdings keine Begründung für die Notwendigkeit einer Wohnungsneubaumaßnahme. Vielmehr lassen sich mit „Angebotsprognosen“ gigantische Bauprogramme rechtfertigen. „Angebotsprognosen sind faktisch sich selbst erfüllende Prophezeiungen. So schreibt die EMPIRICA AG in ihrem Gutachten „Bevölkerungs- und Wohnungsnachfrageprognose im Rahmen der Entwicklungsmaßnahme Herrenberg-Süd“ vom 02.09.2021 im Abschnitt 3.2 „Zu den Schwierigkeiten kleinräumiger Bevölkerungsprognosen zur Begründung für Wohnungsneubaubedarfe“:

Wenn aber im Extremfall jede Kommune der Region eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme planen würde, käme jede wie oben beschriebene Angebotsprognose zum Ergebnis einer ausreichenden Nachfrage. In der Realität käme es allerdings zu sog. Kannibalisierungseffekten“. Die eine Maßnahme würde zu Lasten einer anderen Maßnahme Nachfrage generieren und es würden regionsweit zu viele Wohnungen gebaut. Eine lokale Prognose kann nicht den gesamtregionalen Bedarf beziffern. Diese wäre für gesamtregional bedeutsame Wohnungsbauvorhaben aber erforderlich.“

Zur Einschätzung der Lage wäre es also wichtig zu wissen, welche Wohnungsbauaktivitäten im LKR Böblingen es mittelfristig tatsächlich gibt bzw. geben wird. Die Stadtverwaltung hat dazu eine Umfrage durchgeführt aber nur 4 Rückmeldungen erhalten. Um welche Kommunen es sich dabei handelt und welchen Umfang die Wohnbauprojekte haben bleibt im Verborgenen.

Kurzum: Es stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Begründung nicht um eine unzulässig „angebotsorientierte“ Bedarfsdeckung handelt, wenn bereits das Flächenpotenzial der SEM bei der ermittelten Bedarfshöhe miteingeschlossen wird? Die SEM-Planung dient ausschließlich dazu, einen vorhandenen Bedarf zu decken, der nicht mit dem herkömmlichen Instrumentarium des Baugesetzbu- ches abgedeckt werden kann.

 

Autorin: Dr. Heike Voelker