Leistbarkeit von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte

Das Gutachten der STEG beschränkt sich auf die Aussage, dass mit einem erweiterten Wohnungsangebot in der Region Stuttgart in der Konsequenz die Preise für Wohnen in der Region fallen werden. Hat diese Aussage einen Bezug zur Realität?

Es steht die Frage im Raum, ob in der Region Stuttgart in der Vergangenheit auf Grund der hohen Kaufkraft wegen der überdurchschnittlichen Löhne in Kombination mit der günstigen Fremdfinanzierung von Immobilien in der Niedrigzinsphase nicht generell zu teuer – im Segment des gehobenen Standards – gebaut wurde. In den letzten Jahren der Niedrigzinsphase wurden Immobilien gleich welcher Art zu überteuerten Preisen vermarktet. In der Konsequenz gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Bezieher niedriger und mittlere Gehälter. Der zahlenmäßige Bedarf nach Wohnungen wurde gebaut, nur das Segment für mittlere Einkommen wurde nicht bedient, sodass Nachfrage und Bedarf nicht zusammenkommen. Wie soll mit einem Neubaugebiet in Form einer SEM das Angebot an bezahlbaren Wohnraum erweitert werden?

Im Gutachten Dr. Koch Immobilienbewertung für die Ermittlung der Endwerte werden Abschläge für 20% bezahlbaren Wohnraum von 9% (-92,70 €/m²) und für 30% sozial geförderten Wohnraum von 12% (- 123,60 €/m²) auf den ermittelten Vergleichswert für Wohnbauland (WGFZ) von 1.030,00 €/m² vorgenommen. Mit dem weiteren Abzug von 10% für das temporäre Überangebot des Grundstücksangebotes beträgt der Endwert für Wohnbauland „Herrenberg-Süd“ somit 711 €/m².

Die Mietpreisspanne für bezahlbaren Wohnraum bewegt sich 2022 in Herrenberg zwischen 10,94€/m² bis 11,40 €/m². Der Mietzins für sozial gefördertem Wohnraum liegt in Herrenberg 2022 bei einer Regelabsenkung von 33% von der marktüblichen Miete im Neubau von 13,50 €/m² in Herrenberg 2022 bei 9,0 €/m².

Die Preise für Baumaterialien sind seit 2021 massiv angestiegen (siehe 2.1.1.3). Dadurch entstehen Baukosten von zwischen 4.000 bis 5.000€/m². Um die Projekte zur finanzieren, bedarf es einer Kaltmiete zwischen 17,5 – 20 €/m². Um die Kaltmiete auf 10,0 – 10,5 €/m² zu senken, sind Förderungen im Wert von 1.900 €/m² Wohnfläche notwendig.

Als Mietbindungsfrist und Belegungsfrist sind für bezahlbaren Wohnraum 20 Jahre und für sozial geförderten Wohnraum 30 Jahre geplant.

Mit der SEM besteht die Pflicht die Baugrundstücke zu marktgerechten Preisen – zum Verkehrswert- zu veräußern (§ 169 (8) BauGB).

Im § 194 BauGB ist definiert, was unter Verkehrswert zu verstehen ist:

Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.

Der ermittelte Endwert für Wohnbauland Herrenberg-Süd von 711 €/m² ist nicht der Verkehrswert, zu dem die Grundstücke nach § 169 Absatz 8 zu veräußern sind. Wie hoch die Verkehrswerte zum Zeitpunkt der Grundstücksveräußerungen ab 2028 bis 2038 sein werden, kann heute nicht abgesehen werden. Abschläge für den sozialen Wohnungsbau wie sie im Gutachten Dr. Koch Immobilienbewertung angewandt werden, die den Vergleichswert auf einen Endwert für Wohnbauland mindern, sind für den maßgeblichen Verkehrswert unerheblich.

Das EMPIRICA Gutachten zeigt nicht auf, wie mit der SEM der bezahlbare Wohnraum entstehen könnte. Von daher belegt das Gutachten auch nicht, wie der erhöhte Bedarf an bezahlbarem bzw. sozialem Wohnraum, der einen Anteil von 50% haben soll, mit der SEM gedeckt werden könnte.

Neben dem unbekannten Verkehrswert sind die allgemeinen Baukosten, ob und wie bezahlbarer Wohnraum durch Neubau entstehen kann, bestimmend. Die Anforderungen an das Bauen werden mit dem Ziel, dass die EU 2045 klimaneutral sein muss und die GEG-Standards entsprechend hoch sind, nicht abgesenkt. Auch werden CO2-Preise, Energiekosten und die Ressourcenkrise das Bauen nicht günstiger als derzeit werden lassen. Die absehbare Zinspolitik der Zentralbanken lassen keine Niedrigzinsphase erwarten, sodass die Fremdfinanzierung der durch die Baupreise und Standards teuren Baukosten für mittlere Einkommen unerschwinglich sein wird.

Auf den Gesamtumfang neu errichteter Wohnungen hat die soziale Wohnraumförderung nur einen nachgelagerten Einfluss, da die Errichtung von geförderten Wohnungen zumeist nur ein Begleitprodukt zur Errichtung freifinanzierter Wohnungen darstellt beziehungsweise in einem konkreten Bauprojekt weniger frei finanzierte Wohnungen zugunsten der geförderten Wohnungen errichtet werden. Für den Umfang des Wohnungsbaus sind andere Rahmenbedingungen maßgeblich, etwa die kommunale Bodenpolitik und die Investitionsbedingungen für den Neubau. Der Hebel von „Kommunaler Bodenpolitik“ ist mit der Anwendung der SEM verwehrt. Denn mit der SEM muss die Kommune den Boden zu marktüblichen Preisen, sprich Verkehrswert, veräußern. Die vorgenommenen Abschläge für sozial geförderten Wohnraum vom Vergleichswert bei der Ermittlung des Endwertes für Wohnbauland sind daher für den maßgeblichen Verkehrswert irrelevant. Der Verkehrswert (auch Marktwert genannt) ist der Preis, der zum Zeitpunkt der Wertermittlung auf dem freien Markt erzielbar ist.

Wenn die Nachfrage nicht ausreichend hoch ist, dass die im Kosten- und Finanzierungsplan (KuF- Plan) angesetzten Bodenpreise vereinnahmt werden können, die Stadt aber bereits die Entwicklungskosten vorgestreckt hat, hat sie auch wenig Spielraum mit städtebaulichen Verträgen die Investoren zu vermehrtem sozial gefördertem Wohnraum zu verpflichten, ohne selbst unter einem Schuldenberg zu versinken.

Auch entfällt die Option der in der Stadt Ulm praktizierten Bodenpolitik, dass beim Verkauf von städtischen Grundstücken die Stadt sich ein vertraglich fixiertes Rückkaufrecht sichert, wenn der Käufer zu einem späteren Zeitpunkt das Grundstück wieder veräußern möchte. Mit dieser seit vielen Jahren praktizierten Strategie weist die Stadt Ulm die Spekulation mit Grund und Boden im Stadtgebiet in die Schranken.

So bleibt ungewiss, ob unter den sich abzeichnenden, durch den demografischen Wandel forcierten veränderten Bedingungen auf dem Finanz- und Immobilienmarkt, die Stadt den möglicherweise raren Investoren mit städtebaulichen Verträgen den Bau von sozial gefördertem Wohnraum vorschreiben kann. Oder muss sie froh sein, ihre erschlossenen Baugrundstücke überhaupt auf dem Markt zu auskömmlichen Preisen platzieren zu können. Eine weitere große Unbekannte ist, wie die Förderlandschaft für den sozial geförderten Wohnraum bis 2030 aussehen wird. Anbetracht der Anforderungen an die energetische Sanierung im Gebäudebestand und der Auswirkungen des demografischen Wandels ist es wahrscheinlich, dass die Förderung des sozialen Wohnraumes mit der energetischen Ertüchtigung des Wohnraumbestandes verknüpft wird. Das Risiko, dass die Schaffung von sozial gefördertem Wohnraum nur noch untergeordnet über den Neubau realisiert wird, trägt die Stadt Herrenberg.

Exkurs
Wir möchten an dieser Stelle nur an die Anpassung der Vergaberichtlinien für das Schuppengebiet „Brügele“ in Oberjesingen erinnern, wo Mangels Nachfrage die Vergabebedingungen angepasst werden mussten, weil die Stadt sonst auf ihren Investitionskosten in Höhe von 500.000 € sitzengeblieben wäre. Man könnte diesen Vorgang als Warnzeichen einordnen, was auf die Stadt Herrenberg in Herrenberg-Süd zukommen könnte. Nur dann ist das finanzielle Fiasko für den kommunalen Haushalt Anbetracht der beträchtlichen Ausgaben deutlich größer.

Fehlender bezahlbarer Wohnraum muss aber auch nicht neu gebaut werden. Vielmehr können zu teure Wohnungen durch nachträgliche Subventionen für berechtigte Personenkreise verbilligt werden:

  • Modernisierung mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus (Objektförderung) – der Vermieter verpflichtet sich an untere Einkommensgruppen und zu niedrigeren Mieten zu vermieten.
  • Wohngeldauszahlung -Subjektförderung – wobei das Kriterium für die „Angemessenheit“ entsprechend des regionalen Wohnungsmarktes sich orientieren muss

Offen bleibt die Frage, ob der § 165 BauGB überhaupt den erhöhten Bedarf von bezahlbarem Wohnraum impliziert oder nur den grundsätzlich erhöhten Bedarf an Wohnraum anspricht. Denn es gibt für den regulären Bedarf an Wohnraum genug Wohnbaufläche in Herrenberg.

Die Zuständigkeit für geförderten Wohnraum obliegt seit 2006 den Bundesländern.

Es gibt bessere Instrumente in der Wohnungspolitik als eine SEM, um das Wohnen für Bezieher kleiner Einkommen bezahlbar zu machen:

  • Wohngeld – seit Reform mit Wohngeld Plus-Gesetz in 2023 (2 Mio. Berechtigte Haushalte),
  • Zuschuss über die Grundsicherung bis zur Angemessenheitsgrenze,
  • Soziale Wohnraumförderung: Fördert über den Bau oder die Modernisierung von Wohnraum. Entsprechend der länderspezifischen Förderbedingungen werden zinsgünstige Darlehen sowie Zuschüsse für den Fördermittelnehmer oder Investor gewährt, der im Gegenzug eine zeitlich befristete Mietpreis- und Belegungsbindung für die geförderte Wohnung eingeht. So ist es üblich, dass die kommunalen Stellen der Wohnraumvermittlung das Recht haben, Haushalte für frei werdende geförderte Wohnungen vorzuschlagen, unter denen der Fördermittelnehmer beziehungsweise Vermieter von gefördertem Wohnraum bei der Vermietung auswählen kann.

 

Autorin: Dr. Heike Voelker